Trunkenheit ist selten gut

Moralischer Sinnspruch von "Freidank", einem fahrenden Kleriker des 12./13. Jahrhunderts, vermutlich aus dem Elsass.
Die hier vorliegende Fassung ist eine rheinfränkische von etwa 1300 (cpg 349), zur Online-Reproduktion leicht normalisiert (keine Rücksicht auf i-Striche, ů statt o auf v).
Übersetzung und Nachdichtung von Florian Dombach (bitte Copyright beachten!).

- Original-Text
- Übersetzung
- Nachdichtung
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Originaltext Übersetzung in modernes Deutsch
Trvnkenheit iſt ſelten gvt
Si tobet vñ velſchet wiſen můt
Si iſt ein rovb ds tvgende gar
Si iſt toteſ bilde nemet ez war
Swa trvnkene livte ods tobēde ſīt
Sws die niht vurhtet ds iſt ein kint

Trvnkenheit iſt ſelten vri
Da enſi ſvnde.ſchande.ſchade bi
Sorge zorn trvnkenheit
Tvnt den ſichen dicke leit
So ds win comet ī daz hovbet
So iſt ez armůte berovbet

Sws ſine ſvnde weinen mac
So er trvnken wirt, deiſt weineſ ſlac
Dem solter ze allen ſtvnden
Ds becher ſin an dem mvnde

Ein viehe daz lvtzel ſinneſ hat
Swanne ez ze dorf von velde gat
So erkennet iegelicheſ wol
Hvſ. vñ hof dar ez comen ſol
So trinket leids manic man
Daz er hvſ noch hof geſvchen kan
Daz laſts livten vil geſchiht
Vñ geſchiht doch dem viehe niht
Ez trinkent tvſent .e. den tot
Dan einer ſtsbe in dvrſteſ not

Mete vñ vvin ſin beide gvt
Vur ſorge dvrſt vñ armůt
Vur dvrſt mac niht bezzer ſin
danne wazzer.bier.mete.ods win
Ovch iſt gvt vur hvngsſ not
Viſche.vleiſch.keſe.vñ brot.
Sws die ze ſamene bringen mac
Ds gewinnet manigen gvten tac
Trunkenheit ist selten gut.
Sie macht rasend und verändert weise Gesinnung.
Sie ist ein Raub der Tugend gar.
Sie ist ein Abbild des Todes, hört mir gut zu:
Wo auch immer betrunkene Leute oder Rasende sind
Wer die nicht fürchtet, der ist [töricht wie] ein Kind.

Trunkenheit kommt selten allein,
Es sind auch Sünde, Schande und Schaden dabei.
Sorge, Zorn und Trunkenheit
Tun den Kranken/Armen [= Durstigen] sehr leid.
Wenn der Wein in den Kopf kommt,
dann ist die Armut [= der Hunger] betäubt.

Wer auch immer seine Sünde beweinen mag
wenn er betrunken ist (das ist die Plage des Weines)
Dem sollte zu jeder Stunde
der Becher sein am Munde.

Ein Vieh das nur wenig Verstand hat:
Wann auch immer es vom Felde kommt,
so erkennt jedes doch sehr gut
Haus und Hof woher es kommt.
Leider trinkt so mancher Mann [so viel]
dass er weder Haus noch Hof findet.
Dieses Laster geschieht vielen Menschen
doch geschieht doch nie dem Vieh.
Eher trinken sich Tausend bis zum Tode
als dass einer vor Durst stürbe.

Met und Wein sind beide gut
um Durst und Hunger vorzubeugen.
Für den Durst kann Bier, Met oder Wein
nicht besser als Wasser sein.
Auch ist gut für Hungers Not
Fisch, Fleisch, Käse und Brot.
Wer auch immer diese zusammen verzehrt
der gewinnt so manchen guten Tag.

 

Nachdichtung in modernes Deutsch:

Nur selten gut ist Trunkenheit,
Macht uns zur Raserei bereit,
Lässt Zügellosigkeit den Lauf,
Ist Todes Abbild, merket auf:
Wer dort wo Menschen trunken sind
nicht aufpasst ist ein närrisch Kind!

Trunkenheit kommt kaum allein
Denn Sünd und Schad läuft hinterdrein.
Sorge, Zorn und Trunkenheit
Die tun dem Durst'gen bald schon leid.
Wird Wein sich viel ins Haupt gefüllt
Ist Sorg betäubt und Durst gestillt.

Wer seine Sünd beweinen tut
Wenn trunken (Wein vermag das gut)
Dem sollte wohl zu jeder Stund
Der Becher stopfen seinen Mund.

Ein Rindvieh das hat kaum Verstand
Und hat doch immer noch erkannt,
Wenn heimwärts es vom Felde will,
Welch Haus und Hof da ist sein Ziel.
Doch mancher Mann der trinkt so sehr,
Dass Haus und Hof er find't nur schwer.
Beim Menschen sieht man das zu Hauf,
Doch nie beim Vieh, drum merket auf!
Es saufen sich eher Tausend tot
Als dass einer stürb an Durstes Not.

Met und Wein die taugen auch
Bei Durst und Hunger zu füll'n den Bauch.
Doch für Durst kann Met und Wein
Niemals so gut wie Wasser sein,
Und Hunger stillet nichts so gut
Wie Fisch, Fleisch, Käse und auch Brot.
Wer diese hat zusammen genommen
Hat manchen guten Tag gewonnen.

Originalabbildung aus cpg 349